„Die Jugendarbeit der evangelischen Kirche in der DDR – Freiräume in der SED-Diktatur“.

Matthias Sengewald

1       Vorwort
2
       Exkurs: Die Situation der Kirchen, insbesondere d. Evangelischen Kirchen in der DDR 
3       Evangelische Jugendarbeit   
4       Die „Offene Arbeit“
4.1
        „Braunsdorf“ und Walter Schilling
4.2
        Offene Arbeit beim Jugendpfarramt Leipzig mit Claus-Jürgen Wizisla
4.3
        Offene Arbeit in Dresden mit Frieder Burkhardt
4.4
        Die sozialdiakonische Jugendarbeit von Helfried Kämpfe bei der Stadtmission Dresden
4.5        Offene Arbeit und traditionelle Jugenarbeit als Freiraum

5       Die Diskussion und Selbstverständnis in den Kirchen
5.1
        Unterschiedliche Haltungen:
5.2
        Wie hat sich nun die (evangelische) Kirche selbst verstanden?
5.3
        Dr. Heino Falcke und „Die Kirche für andere“
5.4
        Claus-Jürgen Wizislas „Thesen zur Begründung und Zielsetzung offener Jugendarbeit der Kirche“
5.5
        Beobachtungen-Erfahrungen-Überlegungen der Offenen und Sozialdiakonischen Jugendarbeit der Kirche 1985
5.6
        Kirche ist für alle da, aber nicht für alles
5.7
        Ökumenische Versammlung
6       Das MfS und die Kirche
7       Fazit

1. Vorwort

Die Kirchen in der DDR waren in der SED-Diktatur die einzigen Organisationen, die sich in relativ weitem Maße ihre Eigenständigkeit erhalten konnten. Aufgrund der immer engen Verbindung mit den Kirchen in der Bundesrepublik und der weltweiten Ökumene wurde dieser Status von der Regierung der DDR auch immer respektiert. Auch wenn die Religionsfreiheit in der Verfassung der DDR enthalten war, so galt das für die Organisation, schützte aber die Mitglieder nur begrenzt vor staatlicher Einflussnahme und Repressionen. Dennoch haben die Kirchen immer daran festgehalten, nicht nur Gottesdienste und religiöse Veranstaltungen durchzuführen, sondern auch mit Kindern, Jugendlichen und Familien zu arbeiten. Damit entstand insbesondere in der Evangelischen Kirche ein Freiraum im vormundschaftlichen Staat, der sich auch mehr und mehr ausweitete und damit eine Keimzelle der Friedlichen Revolution wurde. Diese Entwicklung, insbesondere der Blick auf die Arbeit mit Jugendlichen und die daraus entwickelten Arbeitsformen wie z.B. die „Offene Arbeit“ sind Inhalt dieses Textes.

2. Exkurs: Die Situation der Kirchen, insbesondere d. Evangelischen Kirchen in der DDR

Um den Weg zu verstehen, den die Evangelischen Kirchen in der SBZ und der DDR gehen, ist ein kurzer historischer Exkurs notwendig:

1949 sind noch 92% der DDR-Bürger Kirchenmitglieder, historisch bedingt vorwiegend evangelisch, über 80%.

Die Kirchen sind geprägt von den Erfahrungen mit dem NS-Regime, dem Zweiten Weltkrieg und Besetzung und Befreiung durch die Siegermächte. Insbesondere prägen die Evangelische Kirche die Erfahrungen aus der Auseinandersetzung zwischen „Bekennender Kirche“ und „Deutschen Christen“. Das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ vom 19.10.1945 formuliert:

Mit großem Schmerz sagen wir:

Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.

Nun soll in unseren Kirchen ein neuer Anfang gemacht werden. Gegründet auf die Heilige Schrift, mit ganzem Ernst ausgerichtet auf den alleinigen Herrn der Kirche, gehen sie daran, sich von glaubensfremden Einflüssen zu reinigen und sich selber zu ordnen.“[1]

Deutlicher formuliert es das „Darmstädter Wort zum politischen Weg unseres Volkes“ vom 8.8. 1947, das der Bruderrat der EKD, das nach Kriegsende fortbestehende Leitungsorgan der Bekennenden Kirche (BK), für sich verbindlich erklärt:

„2. Wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, den Traum einer besonderen deutschen Sendung zu träumen, als ob am deutschen Wesen die Welt genesen könne. Dadurch haben wir dem schrankenlosen Gebrauch der politischen Macht den Weg bereitet und unsere Nation auf den Thron Gottes gesetzt.“

„3. Wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, eine "christliche Front" aufzurichten gegenüber notwendig gewordenen Neuordnungen im gesellschaftlichen Leben der Menschen. Das Bündnis der Kirche mit den das Alte und Herkömmliche konservierenden Mächten hat sich schwer an uns gerächt. Wir haben die christliche Freiheit verraten, die uns erlaubt und gebietet, Lebensformen abzuändern, wo das Zusammenleben der Menschen solche Wandlung erfordert.“[2]

Die Sowjetunion als Besatzungsmacht akzeptierte die Autonomie der Kirche und ihrer Rechtsstellung sowie kirchliche Arbeit wie Diakonie, setzte jedoch eine Trennung von Religion und Staat durch. Schon im „Befehl Nr. 1“ der sowjetischen Militäradministration wird die Abhaltung von Gottesdiensten gestattet. Die Kirchen bekannten sich vorerst weder zur parlamentarischen Demokratie noch zum Kommunismus. Evangelische Christen forderten zuvorderst die Freiheit des Gewissens und distanzierten sich von ideologischem Bekenntniszwang.

Anfangs gehen die Kirchen wie die Politik von einer Einheit des deutschen Staates aus, auch wenn er in vier Besatzungszonen geteilt ist. Auch nach der Gründung der Bundesrepublik im Mai und der DDR im Oktober 1949 bleibt es für die 8 Landeskirchen dabei, sie gehören der EKD an, der „Evangelischen Kirche in Deutschland“. Mit der Unterzeichnung des Militärseelsorgevertrages durch die EKD mit der Bundesrepublik 1957 kommt es zum Eklat: Die DDR-Regierung interpretiert das als Verletzung der Souveränität der DDR, sie erkennt eine Gültigkeit für die DDR nie an und fordert die Landeskirchen in der DDR auf, sich von der EKD zu trennen. Mit der grünen Grenze 1958 und endgültig mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 kann diese Einheit nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die Gremien der EKD können nicht mehr gemeinsam tagen.

In den DDR-Kirchen setzt sich andererseits zunehmend eine Haltung durch, die staatlichen Gegebenheiten als Fakt hinzunehmen und eine spezifische Haltung dazu zu entwickeln. Deshalb kommt es 1969 zur Gründung des „Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR“ (BEK). Allerdings wurde im Art. 4 Abs. 4 der Ordnung des BEK dennoch die fortdauernde Gemeinschaft mit der EKD betont: „Der Bund bekennt sich zu der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland.“ Ein entsprechender Artikel fand sich auch in der Grundordnung der EKD.

Für die Gemeinden und Kirchenglieder bedeutet das immer wieder einen Weg zwischen Anpassung und Widerstand zu finden.

Die Katholische Kirche geht als weltweit organisierte Kirche eher einen Weg der „Überwinterung“: Mit Hilfe des Vatikans in Rom und der weltweiten katholischen Christenheit, insbesondere in der Bundesrepublik wartet sie auf bessere Zeiten. Tendenziell sind katholische Christen eher bereit sich anzupassen, soweit es unbedingt notwendig ist und nicht gegen ihre kirchlichen Gesetze verstößt, aber das eigentliche Leben geschieht in der Pfarrgemeinde.

Seit 1958 gibt es keine offiziellen Gespräche der DDR-Regierung mit den evangelischen Kirchen mehr, nur noch mit einzelnen Kirchenvertretern. Erst am 7. März 1978 empfängt Erich Honecker den Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR unter Leitung seines Vorsitzenden, Bischof D. Dr. Albrecht Schönherr. Das „Neue Deutschland“ meldet: „Konstruktives, freimütiges Gespräch beim Vorsitzenden des Staatsrates".

Der atheistische Marxismus-Leninismus, die Staatsideologie der DDR, postulierte ein Verschwinden von Religion auf dem Weg zum Kommunismus, den die SED aktiv gestalten wollte. Die Kirchen und damit jeder, der sich zu seinem christlichen Glauben aktiv bekannte, waren für den Staat schon aus diesem Grund ideologische Gegner (Religion als „Opium des Volkes“).

In der Verfassung der DDR war Religionsfreiheit festgeschrieben[3] und wurde formal auch gewährt. Dennoch unterlagen Christen verschiedenen Repressionen. Förderung religiöser Gemeinschaften fand von staatlicher Seite aus nicht statt. Es gab eine sehr strikte Trennung von Kirche und Staat. Von staatlicher Seite war das Staatssekretariat für Kirchenfragen beim Ministerrat der DDR zuständig, das setzte sich fort auf Bezirks- und Kreisebene.

3. Evangelische Jugendarbeit

Der Befehl Nr 2 der Sowjetischen Militärischen Administration vom 10. Juni 1945 erlaubt die „Bildung und Tätigkeit aller antifaschistischen Parteien“ und das „Recht zur Vereinigung in freien Gewerkschaften und Organisationen zum Zweck der Wahrung der Interessen und Rechte der Werktätigen“. Ebenso ist die Bildung “antifaschistischer Jugendarbeit“ gewünscht und wird gefördert.

Die vor 1933 bestehenden und in die HJ zwangsweise eingegliederten „gleichgeschalteten“ Jugendverbände gründen sich wieder, konkret die evangelischen Verbände Jungmännerwerk, Jungmädchenwerk, Schülerarbeit u.a., Jugendgruppen als „Junge Gemeinde“ bilden sich.

Am 7. 3. 1946 ist die Evangelische Jugend Gründungsmitglied der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ). Doch die SED hat in der FDJ und auch in der zur FDJ gehörenden Pionierorganisation für die unter 14jährigen das Sagen. Sie hat die Aufgabe, die Jugend in den Marxismus-Leninismus einzuführen und zu „klassenbewussten Sozialisten“ zu erziehen, welche die „entwickelte sozialistische Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik“ mitgestalten. Sie verstand sich offiziell als Kampfreserve der SED, da die Partei keine eigene Jugendorganisation hatte, und entfaltete demgemäß ihre Aktivitäten.

„Die FDJ erzieht die Jugend auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kommunismus zur Liebe zur Arbeit, zur Liebe und Achtung der Arbeiterklasse und ihrer Partei, der SED. … Die FDJ sieht in der Teilnahme der Jugend an der allseitigen Stärkung der DDR ihren wichtigsten Beitrag im Kampf zur Überwindung des Imperialismus [marktwirtschaftliches Gesellschaftssystem, z.B. der BRD]. Sie erzieht ihre Mitglieder im Geiste der Prinzipien des proletarischen und sozialistischen Internationalismus [staatenübergreifende politische Ideologie], der Freundschaft und brüderlichen Solidarität der Jugend aller Länder, besonders aber zur Sowjetunion. Die FDJ organisiert die Verbreitung des Marxismus-Leninismus und hilft den jungen Menschen beim Studium der Werke der Klassiker des Marxismus-Leninismus und der Beschlüsse der SED.”

Die sehr bald einsetzenden ideologischen Auseinandersetzungen und der Alleinvertretungsanspruch der FDJ führen zu immer stärker werdenden Konflikten. 1947 schieden die kirchlichen Vertreter Oswald Hanisch (evangelisch) und Domvikar Robert Lange (katholisch) aus dem Zentralrat der FDJ aus, nach 1949 gab es praktisch keine Zusammenarbeit mehr.

Anfangs gibt es auch noch Religionsunterricht in Schulen, der aber ebenso bald immer schwieriger wird. Ab 1946 ist er kein ordentliches Lehrfach mehr, 1953 kommt es – ebenso wie mit der Jugend- und Studentenarbeit – zu weitergehenden Auseinandersetzungen. Spätestens Anfang der 60er Jahre gibt es ihn nicht mehr. Die Kirchen etablieren die eigenverantwortete „Christenlehre[4] in ihren Räumen. Bestehende kirchliche Ausbildungseinrichtungen übernehmen die Ausbildung von Fachkräften, wie z.B. das Diakonenhaus Moritzburg in Sachsen, andere werden neu aufgebaut. Die Kirchen entdecken die Bildungsarbeit als ihre Aufgabe neu. Die Evangelische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in kirchlichen Räumen etabliert sich.

Hierher gehört auch die Auseinandersetzung mit der 1955 von der DDR-Regierung als sozialistische Alternative zu Konfirmation und Firmung eingeführten Jugendweihe. Mit dem gesprochenen „Gelöbnis“ sollten sich die Jugendlichen zum sozialistischen Staat DDR bekennen, eingebettet in eine pseudosakrale Feier. Ab 1958 wurde die Jugendweihe durch die eingesetzten Maßnahmen der Regierung Ulbricht praktisch zur Zwangsveranstaltung. Wer nicht an der Jugendweihe teilnahm, musste mit schlechteren Lehrstellen, versagter Zulassung zur Erweiterten Oberschule (EOS und Abitur) und zum Studium und anderen Repressionen rechnen; auch auf die Eltern wird Druck ausgeübt.

Die Kirchen reagierten anfangs, indem sie die Jugendlichen vor die Alternative stellten: entweder Jugendweihe oder Konfirmation. Aufgrund des massiven politischen Drucks lenkten die evangelischen Kirchen aber in den 60er Jahren ein und gestatteten nach „einem Jahr der Besinnung“ die Konfirmation. Ende der 70er Jahre gingen die meisten Kirchen zu dem gemeinsamen Weg des „konfirmierenden Handelns“ über, der praktisch ein weiteres Jahr den Übergang in die kirchliche Jugendarbeit und die Erwachsenengemeinde begleitete.

Anfang der 60er beginnen Jugendmitarbeiter mit neuen Formen: Jugendgottesdienste und Landesjugendsonntage mit neuen Liedern und Bands greifen die aktuellen Trends auf. Der „Beat“ und die aktuellen Musikstile ziehen unter dem Motto „Gottesdienst einmal anders“ ein in Kirchen.

Zunehmend beliebt werden „Rüstzeiten“, etwa 10 Tage gemeinsame Zeit mit viel Gemeinschaft, Spaß und ebenso ernsthafter wie offener Auseinandersetzung über „Gott und die Welt“. Alte Pfarrhäuser in schönen Gegenden, die nicht mehr bewohnt sind, werden anfangs provisorisch genutzt, später oft umgebaut zu „Rüstzeitheimen“. So entsteht auch das Rüstzeitheim in Braunsdorf bei Saalfeld, wo Walter Schilling Pfarrer ist.

Zugleich haben stark auf Missionierung ausgerichtete „Jugend-Evangelisationen“ und „Gebetskreise“ Zulauf. Jugendliche finden hier Antworten auf ihre Fragen nach Wahrheit und dem Sinn ihres Lebens, den der meist in ideologischen Formeln erstarrte „Staatsbürgerkundeunterricht“ und die FDJ mit ihrem „Studienjahr“ nicht geben kann. Aber das macht sie in den Augen der „staatlichen Organe“ verdächtig und diese Arbeit zu „Agenten“ der „politisch-ideologischen Diversion“.

Hier sei eine Nebenbemerkung zu den verwendeten Begriffen erlaubt. Diese klingen heute ziemlich altertümlich, „verstaubt“ und wenig attraktiv. Dies war aber der Situation in der DDR geschuldet: Mit der andauernden Verwendung dieser Begriffe beriefen sich die Kirchen faktisch auf ein „Gewohnheitsrecht“, solche Veranstaltungen durchführen zu dürfen. Mit einer Neubenennung hätten sie Auseinandersetzungen und Verbote provoziert. Gesetzlich waren nach den Veranstaltungsverordnungen in der DDR alle öffentlichen Veranstaltungen anmeldpflichtig, alle Veranstaltungen unter freiem Himmel genehmigungspflichtig. Davon ausgenommen waren aber religiöse Handlungen, und es war ein immer wieder geführter Kampf, was darunter zu verstehen war. Im Laufe der Jahre hatten sich die Kirchen einen gewissen Freiraum über die Gottesdienste hinaus erstritten, der praktisch geduldet, aber rechtlich nicht gesichert war.

Die Landesjugendsonntage, die es so oder ähnlich schon seit Beginn der Jungmännerarbeit im 19 Jhd. gibt, werden interessanter und ziehen zunehmend mehr Jugendliche an. Dazu trägt bei, dass der Festivalcharakter mit entsprechender Musik so nirgends anders möglich ist. Zum Landesjugendsonntag 1985 in Eisenach werden es 12.000 Teilnehmende. Grundbasis der kirchlichen Jugendarbeit bleiben aber die „Jungen Gemeinden“, Jugendgruppen in den meisten Kirchgemeinden. Die ehemals rechtlich eigenständigen Verbände gehören inzwischen alle zur verfassten Kirche, weil sie nur dort ihre Arbeit weiter tun können. Eine Besonderheit sind auch die „Begegnungsrüstzeiten“ mit Jugendlichen aus der Bundesrepublik, die oft in der Tschechoslowakei oder in Ungarn auf Zeltplätzen stattfinden. Die Jugendwarte in den Kirchenkreisen haben oft Partner in einem Kreis oder einer Stadt in der Bundesrepublik mit denen sie zusammen arbeiten.

In diesen Gruppen spielen auch zunehmend aktuelle politische Themen wie „Umweltverschmutzung“ und „Umweltschutz“ und „Entwicklungsarbeit“ eine Rolle, verbunden mit politischen Fragestellungen, zu Zeiten, als es diese Begriffe offiziell in der DDR noch gar nicht gab. Und natürlich wird über Frieden und die Überwindung de Block-Konfrontation im Kalten Krieg diskutiert. Pazifistische Gedanken wie in der westlichen Anti-Kriegs-Bewegung gab es offiziell nur in den Kirchen.

Das alles ist natürlich auch attraktiv für Junge Leute, die nicht aus kirchlichen Elternhäusern kommen.

4. Die „Offene Arbeit“

Als sich in den 60er Jahren jugendliche Subkulturen, geprägt von Beat- und Bluesmusik und langen Haaren bildeten, die „Tramper“, „Kunden“ und „Blueser“, reagierte die DDR mit Disziplinierung.  Innerhalb der durch die staatliche Jugendorganisation „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) bestimmten Jugendarbeit konnten sie die Freiräume, die sie wollten, nicht finden. Als einzige hatte sich die kirchliche Jugendarbeit ihre Eigenständigkeit erhalten können. In den „Jungen Gemeinden“ fanden diese unangepassten Jugendlichen Verbündete, denn die sich zur Kirche bekennenden Jugendlichen waren ja ebenso unter der atheistischen Propaganda und dem Zwang zur staatlichen „Jugendweihe“ zu Unangepassten geworden.

Die staatliche FDJ bietet zwar auch Jugendtreffen, ab den 70ern öffnet sie sich auch neuer Musik. Aber alles immer unter der ideologischen Herrschaft der SED. Da die FDJ- und Pioniergruppen voll in die Schulen, Lehrausbildungen und Hochschulen integriert waren, unterliegen sie ebenso der dort praktizierten Gängelung und Bevormundung, von der offiziellen Linie abweichende politische Positionen und Diskussionen sind tabuisiert. Dennoch gibt es auch innerhalb der FDJ „Nischen“, in denen Jugendliche ihr Leben leben. Auf der Fassade werden die geforderten Rituale und Bekenntnisse als „freiwillige Pflicht“ abgehandelt, danach geht man zum „eigentlichen“ über. Aber ein wirklich offener Freiraum entsteht hier aus der ständigen Angst vor Sanktionen nur selten und nur solange er nicht zu politisch wird.

Es gibt mehrere Wurzeln, aus denen dieser neue Arbeitszweig der evangelischen Kirche in den 70er Jahren herauswächst. Vier wesentliche Personen und ihr Engagement seien hier genannt[5]:

4.1 „Braunsdorf“ und Walter Schilling

1955 nach seinem Theologiestudium wird Walter Schilling[6] Pfarrer in Braunsdorf bei Saalfeld, das bleibt er fast sein ganzes Arbeitsleben. Doch neben dem Leben als Dorfpfarrer schlägt sein Herz für die Jugendarbeit. Schon 1957 wird er zum nebenamtlichen Kreisjugendpfarrer berufen.

In Rudolstadt – neben Saalfeld die Stadt, in der er als Kreisjugendpfarrer wirkt –bald auch die unangepassten Jugendlichen den Weg in die offenen Räume der Evangelischen Jugendarbeit. Und bald nach Braunsdorf: „Walter Schilling, ein Jazz- und Bluesliebhaber mit langen Haaren und Hang zu starkem Kaffee und starken Zigaretten der Sorte Karo, lehnte Bekenntniszwang und Messianismus ab. Zunehmend besuchten auch atheistisch geprägte Jugendliche seine Gottesdienste in der alten Dorfkirche, bei denen er praktische Erfahrungen aus dem Lebensumfeld der Jugendlichen mit Bibelworten zu verknüpfen wusste.“[7]

Walter Schilling passt sich äußerlich den Jugendlichen an, seine Haare lässt er wie sie lang wachsen. Bis an sein Lebensende bleiben sie und die „Karo“-Zigaretten sein Markenzeichen.

1959 beginnt der Ausbau des ehemaligen Stalls im Pfarrhof zum „Rüstzeitheim“. Ein Rückzugsort, „Refugium“ wie Walter gern sagt, für die Jugendarbeit.

Im Dorf gibt es Konflikte mit den alternativen Jugendlichen. Auch die Kirchenleitung beobachtet diese Öffnung der kirchlichen Jugendarbeit eher argwöhnisch. Aber die massiven Probleme bekommt Walter Schilling mit der Staatsmacht der DDR.

Mehr oder weniger ständig ist das Rüstzeitheim von der Schließung bedroht, zeitenweise ist es zu. Dank Protesten und der Vermittlung mit ihm sympathisierenden und solidarischen Kirchenleuten gelingt es, Kompromisse zu finden. Aber 1980 wird es für 10 Jahre geschlossen…

Aber längst ist er auch anderweitig für die Jugendlichen aktiv: 1978 organisiert Walter Schilling mit dem inzwischen als Kreisjugendpfarrer berufenen Uwe Koch die offene Werkstatt „June“ in Rudolstadt. Die mehr als 1000 unangepassten Jugendlichen versetzen die staatlichen Stellen in Rudolstadt und im Bezirk Gera in helle Aufregung. Ein Jahr später wird „June 79“ mit 2000 Teilnehmenden nochmals durchgeführt. Aber 1980 wird aufgrund der massiven Einflussnahme staatlicher Stellen eine Wiederholung durch die thüringische Kirchenleitung verboten.

Doch die Entwicklung ist wie in anderen Orten der DDR nicht aufzuhalten: In mehreren Städten in Thüringen haben Jugendmitarbeiter mit „Offener Arbeit“ begonnen:

In Erfurt kann sie mit Diakon Wolfgang Musigmann ab 1979 in eigenen Räumen aufgebaut werden. „Diese besonderen Orte, in der kleinbürgerlichen, engen DDR, hat Walter Schilling mit anderen Menschen erdacht, entwickelt, abgerungen und wesentlich geprägt. Er hatte in den 70 ziger Jahren die Idee, viel von der Freiheit, von der „gepredigt“ wurde, ins wahre Leben umzusetzen… An diesen Orten … entwickelten Menschen ihre Persönlichkeit, lernten Zivilcourage, den aufrechten Gang und viel Gespür für Gerechtigkeit. Wesentliche  Voraussetzungen, die mit dazu beitragen haben, dass es 1989 zur friedlichen Revolution kam.“[8]

Auch in Jena etabliert sich die „Junge Gemeinde Stadtmitte“, in Weimar verhindern es letztlich der Superintendent und der zuständige Kirchenjurist, der sich später auch als IM der Stasi entpuppten.

1979 kommt es – unter wesentlicher Beteiligung von Walter Schilling - zu einem ersten Treffen der Mitarbeiter/innen der Offenen Arbeit in Berlin, dem sich jährliche Treffen in dem Kirchlichen Rüstzeitheim Hirschluch bei Berlin anschließen.

1982 wird dort formuliert: „Weil der, zu dem sie sich bekennt, die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit im Blick auf die angebrochene Gottesherrschaft in Frage stellte, sich ohne Absicherung dem Risiko der Mißlingens aussetzte und nicht nach den Maßstäben des Machbaren oder Erlaubten richtete, sollte es für die Kirche eigentlich typisch sein, daß sie ständig aus der sie umgebenden Realität unterwegs ist zu dem, was noch nicht ist aber sein wird.

Deshalb muss sie sich einlassen auf die Grenzüberschreitung,

  • die Freiraum schafft für die, die nach Lebensraum schreien,
  • die sich mit denen verbündet, die die Vermenschlichung der bestehenden Verhältnisse gegen den seelenlosen Apparat erstreben,
  • die den berechtigten Protest nicht bremst oder den Verhältnissen anzupassen versucht, sondern ihn unterstützt und mit der Botschaft vom kommenden Reich Gottes motiviert,
  • die bestehenden Gesetze und Ordnungen in Frage stellt und notfalls auf deren Veränderung dringt, zumindest aber bis zum Äußersten ausnutzt, …“[9]

1987 wird Walter Schilling einer der Mitorganisatoren des „Kirchentages von unten“ während des Kirchentags in Berlin, er ist beteiligt an der Gründung der „Kirche von Unten“. Mit deren Anerkennung als rechtlich eigenständige Personalgemeinde durch die Berlin-Brandenburger Kirchenleitung im April 1988 bekommt sie ein festes Domizil in der Elisabethkirche in Berlin-Mitte. Bald darauf wird Walter Schilling von der Thüringer Kirche freigestellt und von der Berlin-Brandenburger Kirche als theologischer Begleiter der KvU eingesetzt. Die Thüringer Kirchenleitung hatte sich damit des ständigen Konfliktes mit der Arbeit von Walter Schilling entledigt…

1990 kommt er in sein Dorfpfarramt nach Braunsdorf zurück. In den folgenden Jahren widmet er sich der Aufklärung über die SED-Diktatur, besonders über die Verbrechen der „Stasi“. Mit Freunden gibt er schon 1993 den Band „Die andere Geschichte“ heraus, eine Aufarbeitung der Einflussnahme des MfS in der Thüringer Landeskirche, umfangreich recherchiert. „Er war nicht nur ein zentraler Wegbereiter der Revolution, ein unerschrocken fröhlicher Mensch in den Zeiten der Finsternis, Vorbild und Wegmarke, er war und ist über die Szene und seine Region hinaus so unbekannt, wie es nur echte Revolutionäre sein können. Denn da, wo sich andere vor die Kameras und Mikrofone drängten, war er nicht zu sehen. Sich um Nachruhm zu bemühen war und ist ihm gänzlich fremd, auch hatte er wohl viel Wichtigeres zu tun.“[10]

(Auszug aus: Walter Schilling. Ein Nachruf von Matthias Sengewald

– hier der ganze Artikel[11])

4.2 Offene Arbeit beim Jugendpfarramt Leipzig mit Claus-Jürgen Wizisla

Bei einer Jugendwoche im November 1966 in Leipzig kommt es zu Auseinander­setzun­gen mit „Beatfans“. Diese Jugendlichen hatten keinen kirchlichen Hintergrund und wollten ihre eigene Kultur leben. Claus-Jürgen Wiszisla und andere Mitarbeitende im Leipziger Jugendpfarramt begannen danach, sie in einer Gruppe in der Nikolaikirche, später in anderen Räumen zu sammeln.

Er verfasste nach den Erfahrungen einiger Jahre 1971 erste Texte mit grundsätzlichen und konzeptionellen Überlegungen. Bei einer Seminarwoche für kirchliche Jugendarbeit 1972 in Neudietendorf legt er seine „Thesen zur Begründung und Zielsetzung offener Jugendarbeit der Kirche“ vor. Er beschreibt darin die Anforderungen an diese Arbeit in einer Situation der Jugend, die „ zur inneren Emigration ganzer Gruppen aus der Gesellschaft in eine emotional bestimmte Gegenkultur mit teils religiösen, teils irrationalen Zügen“ führte. Die Sozialisation der Jugendlichen solle durch „Integration in die altersgleiche Gruppe und durch Emanzipation von heterogenen Mächten“ geschehen. Die „Entfaltung der Jugendlichen“ solle „durch einüben von Kritikfähigkeit und verantwortlichem Engagement“ ermöglicht werden. Als unbedingt notwendig erachtet er, dass „keine Vereinnahmung der Jugendlichen  in die Kirche, keine Manipulation durch repressive Verkündigung“ stattfinden dürfe. Theologisch sah er die Offene Arbeit legitimiert, da sie „Fortsetzung der Inkarnation Gottes in Jesus Christus durch situationsbezogene Entfaltung des Evangeliums im Umgang mit Jugendlichen sei. Es ginge um „Menschsein im Sinne Gottes, wie es Jesus gelebt hat“[12].

Er schreibt selbst: „Darum war es nur folgerichtig, dass nun auch die Verantwortlichen dieses neuen Zweiges kirchlicher Jugendarbeit zusammenkamen, um ihre Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu stärken. Die rührige Jugendwartin Marianne Richter lud 1971 zu einer ersten Konsultation nach Halle ein, und 1972 haben sie und ich zwei Beratungskurse für „Offene Arbeit“ in Gernrode und Gnadau organisiert. Dort haben wir das Phänomen dieser Jugendbewegung soziologisch aus östlicher (Kossakowski) und westlicher (Mollenhauer, Neidhardt) Sicht zu verstehen gesucht, einen Psychologen und einen Musikfachmann zu Rate gezogen und unsere Arbeit theologisch reflektiert. Bei einer Seminarwoche für kirchliche Jugendarbeit Ende 1972 in Neudietendorf habe ich meine im Umgang mit den Fans gewonnenen Einsichten zusammengefasst, die von den Thüringer Kollegen positiv aufgenommen worden sind.“[13]

4.3 Offene Arbeit in Dresden mit Frieder Burkhardt

Im Sommer 1970 wird Frieder Burkhardt[14] Pfarrer in Dresden –Trachenberge, auch genannt „Wilder Mann“. Er will nicht nur Gemeindepfarrer sein, sondern im Sinne von Dietrich Bonhoeffer handeln: „dass eine unbrauchbar gewordene Kirche, nur noch zweierlei zu tun hätte, und das „nicht-religiös“: Beten und Tun des Gerechten.“ [15] So will er vornehmlich Jugendarbeit machen und dabei nicht bei den kirchlich sozialisierten bleiben: „Jugendarbeit mit allen und für alle“ wie er sagt.

„An einem Augustabend 1970 lud ich zu einem Jugendabend ein. Die Junge Gemeinde machte noch Ferien. Es kamen zwei junge Leute, die in einem nahegelegenen Rehabilitationszentrum eine Lehre absolvierten und dort in einem Internat wohnten... Als der Sommer 70 sich neigte, versammelten sich die jungen Leute im Wohnzimmer unserer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, die wir zu viert bewohnten. Von Woche zu Woche kamen mehr, so dass wir bald in eine Baracke neben der Kirche ausweichen mussten... Ende Oktober lud ich zu einem Jugend-Wochenende ein. Thema: Freiheit 1970. Ich hatte per Linolschnitt Plakate gefertigt. Auf den Plakaten war eine offene Kette dargestellt. Ich hatte nur rote Linolschnittfarbe vorrätig. So wurde es eine offene rote Kette. Aufschrift: Freiheit 1970.“[16].

Daraus entwickelt sich ein regelmäßiger Treff für die unangepassten Jugendlichen. Sie lesen Max Frisch aus dem Roman: „Mein Name sei Gantenbein“, sie befassen sich mit Summerhill von Alexander S. Neill, und immer wieder das Thema „Freiheit“.

„Dienstags war offener Abend. 16 Uhr kamen die ersten. Oft war es Mitternacht, als die letzten gingen. In einem großen blauen Topf, in den vier Eimer Wasser passten, kochten wir schwarzen Tee. Brot und Schmalz, dessen HerstellerInnen eine kulinarische Kreativität entfaltete... Das Geld für Tee und Brot kam immer zusammen. Niemand schrie nach „Töpfen“, aus denen man eine Finanzierung erwartete.“ [17]

1974/75 war ein Höhepunkt erreicht. Weit mehr als hundert Jugendliche kamen jede Woche. Die bekannte Popmusikgruppe LIFT probte nun auch im Gelände. Konzerte und Abende mit Liedermachern finden statt. Sie gestalten immer wieder auch Jugendgottesdienste, an denen ein Großteil Jugendlicher teilnahm, die nicht Mitglied der Kirche waren.

Frieder Burkhardt ist aber auch für die Jugendlichen Vertrauter, Seelsorger: „Eine Erfahrung, die wir machten, war, dass viele so etwas wie „Heimat“ suchten, Anschluss, Zugehörigkeit. Einige wollten einfach nur in die Wohnung kommen, dasitzen, duschen, dabei sein. Sie sagten, sie hätten das noch nie erlebt: ein Zuhause.“[18]

Die bedingungslose Zuwendung zu den Jugendlichen spielt sich auch in der Wohnung ab. In einem handschriftlichen Bericht berichtet ein Spitzel:

„Er habe sich in seiner Jugendarbeit in Dresden so engagiert, dass er von den Jugendlichen total in Beschlag genommen worden wäre. Seine Wohnung, vom Keller über Küche, Schlafzimmer und Bad, wäre immer besetzt gewesen. Darunter habe seine Ehe und Familie gelitten. Er hätte aber auch die Jugendlichen nicht hinauswerfen können...“ [19]

Als ich 1975 im Rahmen eines Praktikums die Jugendarbeit dort besuchte, fand ich genau diese beschriebene Situation vor. Aber das war damals nicht ungewöhnlich. Die fehlende Offenheit im gesellschaftlichen Leben der DDR führte dazu, dass die private Wohnung zum Ort wurde, an dem gelebt wurde, wie man es wollte. Die Mangelwirtschaft führt dazu, dass über persönliche Beziehungen das „organisiert“ wurde, was man brauchte. Insofern war eine „offene Wohnung“ für unangepasste Menschen in gewisser Weise selbstverständlich. Bei Jugendmitarbeitern und Pfarrern kam noch die Vorstellung vom „Pfarrhaus“ als Ort des gelebten Christseins dazu.  

Staatlichen Stellen ist das alles natürlich ein Dorn im Auge. Die „Stasi“ observiert seine Arbeit und leitet Maßnahmen der „Zersetzung“ ein[20]. Er erhielt zwei Ordnungsstraf­verfahren mit 100,- und 300, - M Ordnungsgeld wegen Herstellung von Einladungen ohne staatliche Genehmigung. Eine Jugendliche lebte monatelang unter dem Vorwand einer schweren persönlichen Krise mit in seiner Wohnung und berichtete als IM.

1976 wird er als Pfarrer in das Erzgebirge nach Pfaffroda versetzt. Aber auch dort engagiert er sich weiter in der Jugendarbeit. Nachfolger in Dresden wird 1977 Christoph Wonneberger. Er führt die Offene Arbeit fort. Bald wird er mit der Kampagne für einen „sozialen Friedensdienst (SOFD) in der DDR“ bekannt, später ist er einer der wichtigsten Wegbereiter der Friedlichen Revolution in Leipzig.

„Das gehört zu den hoffnungsvollsten Erfahrungen meines Lebens, erlebt zu haben, wie junge Menschen sich entfalten wie Schmetterlinge aus einem Kokon, die (vom Schuldirektor) darauf abgerichtet waren, sich der Gewöhnung an die Norm zu unterziehen, die Tippeltappeltour zu gehen, mit 20 Jahren zu heiraten, zu funktionieren und im Zweifelsfall den Mund zu halten.“

4.4  Die sozialdiakonische Jugendarbeit von Helfried Kämpfe bei der Stadtmission Dresden

Nach seiner Ausbildung zum Diakon im Diakonenhaus Moritzburg und der Spezial­ausbildung zum Pfleger in der Behindertenhilfe im Martinshof Rothenburg arbeitete Helfried Kämpfe [21]ab 1974 als „Kirchlicher Fürsorger“ bei der Stadtmission Dresden. Sein Arbeitsgebiet waren anfangs haftentlassene Straftäter, die in der Stadtmission einen Ort gefunden hatten, wo sie sich angenommen fühlten. Viele von ihnen hatten auch Probleme mit der Droge Alkohol, weswegen sie straffällig wurden. Der Großteil waren junge Männer, die oft aber schon als Kinder in problematischen Verhältnissen aufgewachsen waren.

Im Unterschied zu der bereits beschriebenen „Offenen Arbeit“ ging es ihm mit dieser Arbeit, die Helfried Kämpfe neu aufbaute, mehr um einen sozialpädagogischen Ansatz. Sie wurde deshalb präziser auch als „sozialdiakonische Jugendarbeit“ bezeichnet. Ziel war ihre Reintegration, um ihnen ein eigenständiges Leben zu ermöglichen.

Im Laufe seiner Tätigkeit wurde immer mehr deutlich, dass eine Betreuung von außen nur bedingt die fehlende Sozialkompetenz der Jugendlichen verändern konnte. Verstärkt wurde das dadurch, dass sie immer wieder als „Asoziale“ mit der Staatsmacht in Konflikt gerieten. Der § 249 im Strafgesetzbuch der DDR stellte „Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“ unter Strafe[22]. Aber ebenso diente er als Erziehungsmaßnahme für unangepasste Jugendliche. Damit war seine Arbeit auch politisch brisant.

Helfried Kämpfe wollte diesen Problemen entkommen, aber vor allem ein effektiveres Setting für seine Arbeit gestalten. So entwickelte er ein Projekt des betreuten Wohnens und bemühte sich um die Einrichtung eines Hauses zur Reintegration der jungen Menschen. Im baufälligen Pfarrhaus Hohburg bei Wurzen fand er ein geeignetes Objekt. Mit einer Gruppe von knapp 10 Jugendlichen zog er in das Haus und begann mit ihnen, das Haus zu sanieren und so eine Wohnstatt für sie zu schaffen und zugleich soziales Verhalten und Gemeinsinn aufzubauen.

Seine Arbeit wurde von den staatlichen Stellen der DDR massiv blockiert. Im Frühjahr 1984 war das baufällige Haus auf der einen Seite entkernt, in der anderen wohnte er mit ihnen, seiner Frau, die er in seiner Arbeit kennengelernt und geheiratet hatte und seinen Kindern. Trotz vieler Bemühungen fehlte es immer wieder an Material, die staatliche Bauaufsicht behinderte mit Auflagen den Baufortschritt.[23]

So widmete er sich ab 1985 der Errichtung eines Wohnheimes für erwachsene Behinderte, denen er vor allem ein größeres Privatleben als in den damals üblichen Behindertenheimen ermöglichen wollte. In der Herrnhuter Brüdergemeine fand er einen kirchlichen Träger. Nur mit Unterstützung eines Maurers und gelegentlicher weiterer Hilfskräfte und trotz seiner fortschreitenden Krebserkrankung gelang es ihm, den ersten Bauabschnitt zu bewältigen. Am 1. Juni 1988 wurde Richtfest gefeiert, ein reichliches Jahr später verstarb er. Das Haus, das nun seinen Namen trägt, gehört heute zum größeren Komplex der Behindertenhilfe Hohburg.

4.5 Die „Offene“ und traditionelle Jugenarbeit als Freiraum

In den Räumen der „Offenen Arbeit“ finden die „Unangepassten“ eine „Gegenwirklichkeit” in der sie sich ernst- und angenommen fühlen: Die „Tramper“ und „Blueser“, „Rocker“ und „Punker“. Möglich ist das, weil die Jugendmitarbeiter ihre eigenen Vorstellungen vom Leben verwirklichen, die in vielem denen der Jugendlichen entsprechen. Die „Offene Arbeit“ entwickelt daraus ein Selbstverständnis von „Kirche“ und „Gemeinde“, dass sich auf die biblische Überlieferung von Jesus berufen konnte und radikaler als die gewöhnliche kirchliche Jugendarbeit war, aber damit auch oft im Konflikt mit traditionellen und konservativen Vorstellungen von Kirche stand (dazu später mehr). Dagegen ist die „Sozialdiakonische Jugendarbeit“ stärker sozialpädago­gisch angelegt und auf Hilfe und Unterstützung der Jugendlichen, die aufgrund ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen in Konflikt mit Eltern, Gesellschaft und Staat geraten.

Nach der Neuorganisation der Diakonenausbildung in den evangelischen Diakonenhäusern ab 1970 beginnt 1976 in Berlin-Weißensee die Ausbildung von Jugenddiakonen mit dem Ausbildungsprofil „Offene und Sozialdiakonische Jugendarbeit“. In Moritzburg (bei Dresden) werden weiterhin Gemeindediakone für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ausgebildet, in Eisenach Diakone für Jugendarbeit in kirchenfernen Milieus. Ab Mitte der 70er Jahre werden Jugendmitarbeiter für „Offener Arbeit“ bzw. „Sozialdiakonische Jugendarbeit“ in Großstädten angestellt. Ende der 70er hat sich diese Arbeit in der Jugendarbeit der Ev. Kirche etabliert, in vielen Großstädten gab es spezifisch ausgebildete kirchlich angestellte Jugenddiakone für die „Offene Arbeit“ bzw. „Sozialdiakonische Jugendarbeit“. Dieser Arbeitszweig, hervorgegangen aus der Jugendarbeit der Evangelischen Kirchen, machte die gesellschaftlichen Probleme und die politisch motivierte Verfolgung von unangepassten Jugendlichen in der SED-Diktatur offenkundig. Das machte sie schnell auch zum „Feind“ und Objekt der „politischen Untergrundtätigkeit“ des MfS. Aber auch für die traditionell eingestellten Gemeinden und die auf Konfliktvermeidung bedachten Kirchenleitungen sind sie schwer zu verkraften.

In den Wechselwirkungen mit der althergebrachten Jugendarbeit, den Basisgruppen und den Kirchgemeinden und Kirchenkreisen trug die Offene Arbeit erheblich zur Politisierung und der kritischen Positionierung der Evangelischen Kirchen bei. Auch heute sind Gruppen der „Offenen Arbeit“ immer noch in den gesellschaftlichen Konflikten aktiv.

Eigentlich ist die Geschichte der Evangelischen Jugend in der DDR eine Geschichte der Konflikte mit dem Staat. Schon in den ersten Jahren wird das Kugelkreuz als Abzeichen der Ev. Jugend zum „Bekenntniszeichen“, dessen Tragen in den Schulen verboten wird. 1953 führt die FDJ geradezu einen „Feldzug“ gegen die Jugendarbeit der Kirchen, die als „Tarnorganisation für Kriegshetze“ in der FDJ-Zeitung „Junge Welt“ verleumdet wird und „Sabotage und Spionage“ im USA-Auftrag“ ausführe. Schüler und Studenten werden relegiert. In den 60er Jahren wird die Arbeit immer wieder behindert: Mit Hygienekontrollen werden Rüstzeiten verhindert und Heime geschlossen, mit der Veranstaltungsverordnung werden teilweise Veranstaltungen zwangsweise abgesagt…

Christliche Jugendliche werden so zwangsweise mit den politischen Fragen der DDR konfrontiert. In den 70er Jahren zieht es mehr und mehr unangepasste Jugendliche aus nichtkirchlichem Umfeld an: Die Gammler, Blueser, Hippies. Für die DDR sind das „Asoziale“, die mit dem Straftatbestand „asoziales Verhalten“ bekämpft, drangsaliert und eingesperrt werden.

In den 80ern werden die politischen Fragen immer offener in spezifischen Gruppen, Veranstaltungen und Aktionen thematisiert: Z.B. die Auseinandersetzungen um die Friedensfrage und das Zeichen „Schwerter zu Pflugscharen“

Nach und nach entstehen immer mehr Gruppen, die sich mit inhaltlichen Auseinandersetzungen, mit Veranstaltungen und teilweise auch schon mit Aktionen einbringen. Diese Gruppen entstehen aus der kirchlichen Jugendarbeit, der Studentenarbeit, teilweise auch in anderen Gemeindegruppen, oder aber auf Initiative von Einzelnen Betroffenen. Die Initiative geht von Kirchenmitgliedern aus und ebenso solchen, die nicht kirchlich sozialisiert sind. Vereinzelt gibt es Versuche, für solche Gruppen im Rahmen des Kulturbundes der DDR Räume und Veranstaltungsmöglich­keiten zu geben, aber fast alle scheitern oder werden ganz stark in ihrer Arbeit gegängelt.

Deshalb kommen viele von ihnen „unter das Dach der Kirche“, vermittelt von Mitarbeitenden, die sich mit dafür engagieren. Das führt zunehmend zu Spannungen insbesondere in Kirchgemeinden und Kirchenkreisen, weniger bei der Jugend- und Studentenarbeit. Diese Entwicklung bringt auch eine gegenseitige Beeinflussung: Die Kirchen, Gemeinden und ihre Leitungsorgane befassen sich mehr mit gesellschaftlichen und politischen Themen, die Gruppenmitglieder machen z.T. erstmals Erfahrungen mit Religion und Glaube. Das zwingt beide Seiten, eingefahrene Vorstellungen zu überprüfen, sich aufeinander einzulassen und anzunähern. Auch das bringt wieder Konflikte, die insbesondere die Leitungsgremien der Kirchen beschäftigen.

5. Die Diskussion und Selbstverständnis in den Kirchen
 5.1 Unterschiedliche Haltungen:

Die Kirchenmitglieder, aber ebenso die Leitenden, sind unterschiedlich geprägt:

  • Volkskirchliche, auf die Tradition bedachte, durchaus auch noch kaisertreue, ebenso pietistische und evangelikale: konfliktvermeidend, aus dem Weg gehend,
  • Ältere, die noch Bekennende Kirche und die Auseinandersetzungen 1953 erlebt hatten: vorsichtig, abwägend, ausgleichend, konfliktvermeidend, aber auch klare Haltung
  • Aktive Mitglieder und Mitarbeiter, die die Probleme der DDR sehen und offen ansprechen: aktiv in oppositionellen Gruppen, auf kritischen Dialog
  • Theologisch kritisch agierende aus unterschiedlichen Perspektiven z.B. Bischof Johannes Hempel, Propst Heino Falcke, Werner Krusche
  • Jugendmitarbeiter/innen, die durch den Kontakt mit Jugendlichen von aktiv oppositionell bis z.T. sogar radikalisiert, anders die pietistisch-evangelistisch-frommen
  • Ehrenamtliche, die durch ihre berufliche Tätigkeit oder Engagement in Konflikt mit dem Staat kamen.
  • Mitglieder der Blockpartei CDU sowohl systemnah als auch „abgeduckt“: sehr zurückhaltend bis staatsnah agierend
  • Systemnahe „religiöse Sozialisten“ (CFK), pro DDR, staatsnah agierend, Opposition unterwandernd, viele IM

Die „Überwinterungsstrategie“ der katholischen Kirche spielte immer weniger eine Rolle.

In den 70er Jahren kommt es zu einer Veränderung: Die angepasste Haltung, die nach Naziregime, Krieg und den anfänglich stalinistischen Agieren der DDR bei der Bevölkerung weitgehend überwiegt, verlassen zunehmend vor allem jüngere Menschen, oft auch im Konflikt mit ihren Eltern und Verwandten.

Kirchenleitende stehen immer mehr in einem Spagat, denn sie wollen einerseits den kirchlichen Freiraum und Handlungsspielraum erhalten, andererseits werden sie zu klaren Positionen gegenüber staatlichen Maßnahmen gedrängt oder wollen dies selbst.

5.2  Wie hat sich nun die (evangelische) Kirche selbst verstanden?

Ein Grundsatz christlichen Glaubens ist: Jeder Mensch ist Ebenbild und geliebtes Kind Gottes. Das muss nicht erst verdient werden. Deshalb ist jeder Mensch als eigenständige Person zu akzeptieren.
Dies ist letztlich auch der Hintergrund, aus dem in der europäischen und nordamerikanischen Tradition die Menschenrechte entstehen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ist die säkulare Übersetzung dieses Verständnisses.

Dagegen steht der kommunistische Arbeitsethos „Wie der Stahl gehärtet wurde“

Mit der Trennung von der EKD kommt die Formel „Kirche im Sozialismus“ in die Diskussion. Bischof Albrecht Schönherr sagt auf der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR 1971: „Wir wollen Kirche nicht neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus sein.“ Diese Formel ist in der Vergangenheit manchmal, heute oft missverstanden worden als Bekenntnis zum Sozialismus oder gar zur sozialistischen DDR.

5.3  Dr. Heino Falcke und „Die Kirche für andere“

Jg 1929, 1963 bis 1973 Direktor des Predigerseminars Gnadau der Evangelischen Kirche der Union. 1973 bis 1994 Propst im Propstsprengel Erfurt.

Sein Vortrag 1972 auf der Synode des Kirchenbundes der DDR in Dresden „Christus befreit – darum Kirche für andere“ ist programmatisch.

Er entfaltet das Thema in drei Schritten: Die Befreiung des Menschen durch Christus

(1.), die Befreiung der Kirche zum Dienst (2.), die Kirche im Dienst der Befreiung (3.).

„Weil Christus sie befreit, darum kann Kirche für andere da sein. Die Befreiung, die von Christus ausgeht, kommt aber nicht in der Kirche zum Ziel. Sie zielt auf die kommende Gottesherrschaft als das Reich der Freiheit für alle Menschen. Darum soll Kirche für andere da sein und den befreienden Dienst Christi für alle Menschen bezeugen.“

„Daß Freiheit und Mündigkeit zusammengehören, ist uns heutigen Menschen klar. Den Aufgaben, die die heutige Welt und ihre Zukunft uns stellt, werden nur mündige Menschen gewachsen sein, die selbst zu denken, verantwortlich zu entscheiden und Verantwortung zu tragen wissen. Indem uns Gott zu seinen Söhnen macht, befreit er uns zur Mündigkeit vor Gott und den Menschen. Die Söhne Gottes - sagt Paulus - sind befreit von den Zuchtmeistern und autoritären Gewalten dieser Welt, die uns gängeln und durch Lockung und Drohung in Unmündigkeit festhalten. Gott gehören aber heißt in großem Vertrauen und angstfreier Offenheit sprechen können: Abba, lieber Vater!“

Er spricht davon, „Um der mündigen Mitarbeit willen wäre es wichtig, wenn unsere Gesellschaft den Spielraum an offener Diskussion erweitert. Verantwortliche Mitarbeit wird angestrebt.“ Und „Mündige Mitarbeit setzt Urteilsfähigkeit durch Information voraus.“

„So könnte es in der Kirche eine kritische Öffentlichkeit, eine Stätte des freien Wortes, eine Offenheit für radikale Fragen und angstfreie Lernbereitschaft geben. Das wäre ein eminent wichtiger Beitrag zur mündigen Mitverantwortung in der Gesellschaft.“ In dem Zusammenhang spricht er dann auch von der „Hoffnung eines verbesserlichen Sozialismus“.

5.4  Claus-Jürgen Wizislas „Thesen zur Begründung und Zielsetzung offener Jugendarbeit der Kirche"

[24]

Wizisla reflektiert 1972 auf dem Hintergrund der Erfahrungen in Leipzig seine Thesen (s.o. 4.2):

Zur Situation: Das Auseinanderklaffen von physischer, psychischer und sozialer Reife und die „Verspätungs­tendenz in der Erziehung zur Selbständigkeit“ führen zu einer normativen Krise im Jugendalter und zu inneren Emigration ganzer Gruppen aus der Gesellschaft in eine emotional bestimmte Gegenkultur mit teils religiösen, teils irrationalen Zügen.

  1. Inhalt der Jugendarbeit

Ist der Jugendliche, seine Sozialisation und Personalisation. 
Dieses geschieht durch Integration in die altersgleiche Gruppe und durch Emanzipation von heterogenen Mächten

     2. Pädagogische Aufgabe

Ist das Anregen der Entfaltung der Jugendlichen:

  • durch freie Meinungsäußerung und eigene Urteilsbildung, 
  • durch Erfahrung der Selbstbestätigung und Anerkennung,
  • Gruppenfähigkeit und Toleranz,
  • durch Gelegenheit zu kultivierter Befriedigung ihrer Bedürfnisse,
  • Abbau von Aggressionen,
  • durch Aufnehmen, Anregen und Vertiefen seiner Interessen,
  • durch Einüben von Kritikfähigkeit und verantwortlichem Engagement

     3.Theologische Begründung

  1. Fortsetzung der Inkarnation Gottes in Jesus Christus durch situationsbezogene Entfaltung des Evangeliums im Umgang mit Jugendlichen
  2. Indirekte Christologie: jeder kann dem anderen zum Christus werden, wenn er sich ihm bedingungslos zuwendet
  3. Reduzierung des Glaubensgutes der Tradition im Sinne einer Konzentration auf Möglichkeiten des Menschseins, die über Gegebenes hinausschreiten 
  4. Die Rolle des Leiters

Besteht im partnerschaftlichen Umgang:

  • In bestimmten Situationen sich überflüssig machen
  • In anderen Situationen Eigenes einbringen
  • Sich immer bereit halten
  • Fragen stellen, nicht Antworten geben
  • keine Vereinnahmung der Jugendlichen in die Kirche,
  • keine Manipulation durch repressive Verkündigung

Menschsein im Sinne Gottes, wie es Jesus gelebt hat, durch diakonische Präsenz funktional vermitteln und für die Jugendlichen als Folge der Kooperation Gottes mit ihnen erwarten..

​​ 5.5 Beobachtungen-Erfahrungen-Überlegungen der Offenen und Sozialdiakonischen Jugendarbeit der Kirche

1982 wird beim jährlichen Treffen der Mitarbeiter/innen der OFFENEN ARBEIT in dem Kirchlichen Rüstzeitheim Hirschluch bei Berlin, unter maßgeblicher Beteiligung von Walter Schilling, formuliert:

„Weil der, zu dem sie sich bekennt, die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit im Blick auf die angebrochene Gottesherrschaft in Frage stellte, sich ohne Absicherung dem Risiko der Mißlingens aussetzte und nicht nach den Maßstäben des Machbaren oder Erlaubten richtete, sollte es für die Kirche eigentlich typisch sein, daß sie ständig aus der sie umgebenden Realität unterwegs ist zu dem, was noch nicht ist aber sein wird.

Deshalb muss sie sich einlassen auf die Grenzüberschreitung,

  • die Freiraum schafft für die, die nach Lebensraum schreien,
  • die sich mit denen verbündet, die die Vermenschlichung der bestehenden Verhältnisse gegen den seelenlosen Apparat erstreben,
  • die den berechtigten Protest nicht bremst oder den Verhältnissen anzupassen versucht, sondern ihn unterstützt und mit der Botschaft vom kommenden Reich Gottes motiviert,
  • die bestehenden Gesetze und Ordnungen in Frage stellt und notfalls auf deren Veränderung dringt, zumindest aber bis zum Äußersten ausnutzt, …“[25]

Anfang der achtziger Jahre stellten sich sowohl Vertreter der „Offenen Arbeit“ einerseits, wie auch die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR einem Diskussionsprozeß, der zum einem in der Erklärung der 3.Tagung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (1983) endete:

„Die Synode bekräftigt, daß zum Wesen der Kirche ihre Offenheit gehört. Die Kirche ist offen auch für Menschen, die in ihr Annahme und Verständnis, Geborgenheit und Schutz, Gespräch und Nähe, Hilfen und Begleitung für ihr Leben suchen. Die Kirche macht sich schuldig, wenn sie sich diesen Aufgaben entzieht. Sie muß deshalb Arbeitsformen entwickeln und integrieren, die in ihrer Flexibilität und Weite dem Sendungsauftrag der Kirche heute entsprechen. Dazu sind alle Bemühungen zu rechnen, die als offene Arbeit unverzichtbarer Teil der Verantwortung der ganzen Kirche geworden sind...“.

 5.6 Kirche ist für alle da, aber nicht für alles

Der Thüringer Bischof Dr. Werner Leich, 1978 bis 1992 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, wird 1986 bis 1990 als Nachfolger von Johannes Hempel Vorsitzender der Konferenz der Kirchenleitungen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK). In den Auseinandersetzungen zwischen Staat und den politischen Basisgruppen prägt er den Satz: „Kirche ist für alle da, aber nicht für alles“. Damals ist dieser Satz heftig umstritten, denn viele der Engagierten sehen darin die Gefahr, missliebige Gruppen auszugrenzen. Leich, der eher konservativ ist, handelt insofern konsequent danach, dass er sich nur bedingt auf die politischen Diskussionen einlässt, aber den einzelnen Menschen seine Unterstützung gibt. Heute ist dieser Satz ganz anders richtig in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und vor allem dem Populismus der AfD und anderer.

5.7  Ökumenische Versammlung

Die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der DDR war eine der ersten regionalen Versammlungen in Europa im Rahmen des Konziliaren Prozesses, eines gemeinsamen „Lernwegs“ christlicher Kirchen zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Weltweit gab es eine Reihe von Ökumenischen Versammlungen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.[1] Kurz vor der friedlichen Revolution entfaltete sie darin eine ganz besondere Wirkung.

Die Ökumenische Versammlung (ÖV) trat mit 146 Delegierten aus 19 Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften vom 12. bis 15. Februar 1988 in Dresden zur 1. Vollversammlung zusammen. Hinzu kamen 27 Berater. Es folgten die 2. Vollversammlung vom 8. bis 11. Oktober 1988 in Magdeburg und die 3. Vollversammlung vom 26. bis 30. April 1989 wiederum in Dresden. Die 3. Vollversammlung nahm 12 Ergebnistexte und weitere Dokumente an:[2]

Im Abschlussgottesdienst am 30. April 1989 in Dresden werden die Texte den beteiligten Kirchen übergeben.

Unter den weiteren Dokumenten befindet sich auch ein „Brief an die Kinder“, in dem einleitend das Anliegen der ÖV erklärt wird: „Die Erde, auf der wir leben, ist sehr bedroht. Schuld daran sind wir, die Erwachsenen. Aber einige haben es doch noch gemerkt. Deswegen haben sich zum dritten Mal viele Menschen getroffen, um darüber nachzudenken, was zur Rettung der Erde geschehen muss...“

 

Das umstrittenste und von der Stasi am argwöhnischsten beobachtete Papier war Text 3: Mehr Gerechtigkeit in der DDR - unsere Aufgabe, unsere Erwartung

Textauszüge:
„Der grundsätzliche Anspruch der Staats- und Parteiführung in Politik und Wirtschaft zu wissen, was für den einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes notwendig und gut ist, führt dazu, daß der Bürger sich als Objekt von Maßnahmen, als »umsorgt« erfährt, aber viel zu wenig eigenständige, kritische und schöpferische Mitarbeit entfalten kann. Dadurch wird die Lösung anstehender sozialer, ökologischer Gerechtigkeit und ökonomischer Probleme in unserem Lande behindert, zugleich aber auch der Blick auf die weltweiten Probleme verstellt, in die auch wir unauflösbar verflochten sind. Die dadurch gegebene Spannung zwischen Regierenden und Regierten verhindert den inneren Frieden, beeinträchtigt aber auch den Hausfrieden im gemeinsamen europäischen Haus.“

3.3.2. „(12) Wir brauchen eine Atmosphäre, die den Mut zur Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten fördert. Diese wird beeinträchtigt durch geheime Überwachung und noch immer ungenügenden Datenschutz. Sie würden aber gefördert durch mehr Rechtssicherheit…“

3.3.3. „(13) Damit Verantwortung in unserer Gesellschaft sachgerecht wahrgenommen werden kann, brauchen wir klar abgegrenzte Zuständigkeiten auf verschiedenen Ebenen des Staates sowie eine klare Trennung der Kompetenzen von Staats- und Parteifunktionen…“

3.3.4. „(14) Wahlen, in denen die Urteilsfähigkeit der Bürger wirklich gefordert wird, geben den Gewählten ein tragfähiges Mandat. Das Wahlrecht sollte so reformiert werden, daß die Wähler auf die Aufstellung der Kandidaten wirksam Einfluß nehmen und geheim unter mehreren auswählen können.

3.3.5. „(15) Unsere Gesellschaft braucht ein Bildungs- und Erziehungswesen, in dem Menschen heranwachsen können, die bereit und fähig sind zu verantwortlicher Lebensführung und zu mündiger Mitwirkung an den Gemeinschaftsaufgaben…“

3.3.7. „(17) Unsere Gesellschaft braucht mündige Bürger, die ihre Rechte und Pflichten, ihre Aufgaben und Möglichkeiten selbstverantwortlich wahrnehmen, die mitdenken und sagen, was sie denken, ohne zu nörgeln und die nicht warten, bis ihnen alle Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt sind. Dazu brauchen auch sie die ungehinderte Möglichkeit, sich zu versammeln und in selbständigen Vereinigungen zusammenzutun, um gemeinsam nachzudenken und zu handeln.“

3.3.8. „(18) Unsere Gesellschaft braucht mündige Bürger, die im Bereich der DDR auch ihre Heimat sehen können…“

3.3.9. „(19) In unserer Gesellschaft brauchen diejenigen, die nicht den allgemeinen Erwartungen entsprechen und anders sind oder sein wollen, mehr Verständnis und Toleranz…“

6. Das MfS und die Kirche

Dem MfS ist es immer wieder gelungen, kirchliches Handeln ebenso wie die Arbeit in den Basisgruppen zu beeinflussen, teilweise auch massiv. Zahlreiche OV und OPK zeugen davon, auch der Fakt, dass innerhalb der Evangelischen Kirche eine überdurchschnittlich hohe Zahl von IM aktiv war, belegt das. Aber letztlich konnten sie damit nicht den Lauf der Dinge aufhalten…

Dabei waren kirchliche Angestellte relativ geschützt. Die Methoden, die die Stasi bei in staatlichen Betrieben Angestellten anwandte, griffen nicht: Ausschluss von Karriere, Androhung von Versetzung u.a.m. In Konflikten mit dem Staat stellten sich die kirchlichen Leitungsgremien in aller Regel hinter ihre Mitarbeitenden. Aber es gab einen Unterschied: Pfarrer waren durch ihre Ordination in einem kirchlichen Beamtenverhältnis, dass die DDR respektierte.

Und natürlich hatten die Kirchen noch die Erfahrungen in den frühen 50er Jahren in Erinnerung, wo es zu mehreren Verurteilungen auch von Pfarrern gekommen war. Deshalb gab es auch Druck kirchenleitender Stellen auf Mitarbeitende, oft auch von IM lanciert. Thomas Auerbach und Lothar Rochau sind die härtesten Beispiele.

Die Aufarbeitung nach 1990 geschieht schleppend, so wie im ganzen Land. Fast keiner der IMs will reinen Tisch machen und bekennt sich zu seinen Taten, Kirchenleitungen sind in ihrer diplomatisch-lavierenden Haltung verstrickt, ganz viele andere Aufgaben sind an der Tageordnung. Aus den Basisgruppen kommt die Forderung nach Entlassung der Pfarrer, die konspirativ für das MfS tätig waren und damit ihre Pflichten als Seelsorger missachtet haben. In Thüringen arbeiten einige Akteure der Opposition zusammen mit Walter Schilling diese Kapitel auf und veröffentlichen umfangreiches Buch dazu[26], andere Landeskirchen gehen eher zögerlich damit um[27]. Die Ergebnisse sind eher enttäuschend: inige wenige werden aus dem Dienst, meist auch nur vorübergehend, entlassen.

Die 2009 aus der Thüringer Landeskirche und der Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (Sachsen-Anhalt) vereinigte „Evangelische Kirche in Mitteldeutschland“ widmet sich erneut der Aufarbeitung und beginnt einen Prozess, der 2017 zu einer Erklärung des Landeskirchenrates im Gottesdienst der 6. Tagung der II. Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland am Bußtag 2017 führt:

„Wir beklagen, dem SED-Staat nicht klarer und kompromissloser entgegen getreten zu sein. Wir haben dabei die Erkenntnisse aus der Barmer Theologischen Erklärung nicht ernst genommen. Wir erkennen darin ein geistliches Versagen.

Wir beklagen die Fälle, in denen Pfarrer und Pfarrerinnen und kirchliche Mitarbeitende mit staatlichen Stellen konspiriert, Vertrauen verletzt und Anderen Schaden zugefügt haben und dass wir unsere Verflochtenheit in diese Schuld bis heute nicht bekennen.

Wir beklagen die Fälle, in denen Mitarbeitende in Kirche und Diakonie, die aus politischen Gründen drangsaliert und auch in ihren Kirchen disziplinarisch belangt, im Stich gelassen oder gar entlassen wurden. Bis heute übernehmen wir als Kirche nicht die nötige Verantwortung für Menschen, die unter Mithilfe oder nach Verrat aus kirchlichen Kreisen inhaftiert, gedemütigt, traumatisiert oder zur Ausreise gedrängt wurden.“

„Wir sehen mit Schmerz, dass Aufarbeitung und Schuldeingeständnis bisher nur teilweise geschehen sind.“

„Wir bitten Gott und die Menschen, die durch die Kirchen und ihre Mitarbeitenden geschädigt wurden, um Vergebung.“

„Wir sehen die immer noch gestörten Beziehungen in unserer Gesellschaft und die Verletzungen 27 Jahre nach dem Ende der DDR. Wir wollen das uns Mögliche für eine Heilung der Erinnerung und für Versöhnung tun.“

 

     7. Fazit

Als 1989 die Friedensgebete zu Ausganspunkten der Demonstrationen und die Kirchen Veranstaltungsort für die neuen Vereinigungen werden, ist die „Offene Arbeit“ überall mittendrin dabei. Ihre Persönlichkeiten haben „den aufrechten Gang“ schon geübt, sie ermächtigen sich als die, die jetzt die Gesellschaft zu einer freien und demokratischen umgestalten. So stellt beispielsweise die Offene Arbeit in Erfurt eine „Fraktion“ im Bürgerkomitee und dann auch im Interimsparlament.

Freilich werden auch hier – wie überhaupt bei den Oppositionsgruppen – sehr bald unterschiedliche Vorstellungen deutlich, aber vor allem verliert die „Offene Arbeit“ ihre Exklusivität als Freiraum. Jetzt können alle und überall offen und frei reden, diskutieren, planen… Mitglieder der Offenen Arbeit verwirklichen jetzt auch ihre Träume. In Erfurt gründen sie ein „Autonomes Jugendzentrum“, sie besetzen leerstehende Häuser, sie kandidieren für den Stadtrat und den Landtag, sie beginnen ein Studium. Das bedeutet zugleich, dass sie sich nicht mehr oder weniger in der Offenen Arbeit engagieren – die Teilnehmendenzahlen nehmen ab, oft verliert sie auch ihre starke politische Prägung, später werden manche zu „Häusern der Offenen Tür“ als Einrichtung der Jugendarbeit in Freier Trägerschaft.

Aber die Offene Arbeit und die politisierte Jugendarbeit hat nachhaltig auch in die Evangelischen Kirchen hineingewirkt: Als im Zuge des Zusammenschlusses der Kirchen in der DDR mit denen im „Westen“ von dort „selbstverständlich“ die „bewährten“ Strukturen übernommen werden, kommt Widerstand von den Protagonisten der OA. Gegen eine Übernahme der Militärseelsorge, für andere Formen des Religionsunterrichtes jenseits der konfessionellen Trennungen, für ein anderes Kirchensteuersystem. Das meiste bleibt Vision, zu mächtig ist die finanzielle Abhängigkeit. Aber der „konziliare Prozess“ für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ bleibt, immer wieder findet sich diese Kurzformel für gesellschaftliche Verantwortung der Kirchen.

 

Anmerkungen


[1] https://www.ekd.de/Stuttgarter-Schulderklarung-11298.htm; https://de.wikipedia.org/wiki/Stuttgarter_Schuldbekenntnis, eingesehen 30.10.2020

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Darmst%C3%A4dter_Wort, eingesehen 30.10.2020; Download: http://www.theologische-links.de/downloads/bekenntnisse/1947%20Das%20Darmstaedter%20Wort.rtf

[3] Verfassung der DDR, 1949: Artikel 41 – 48, 19,1968 und 1974: Artikel 39; https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassung_der_Deutschen_Demokratischen_Republik#1974, eingesehen 30.10.2020

[4] Die Katholische Kirche hält an dem Begriff „Religionsunterricht“ fest.

[5] Sicher müssten hier noch mehr genannt werden, wobei die Abgrenzung zu denen, die in der traditionellen Jugendarbeit neue Wege suchen, fließend ist, u.a. Jürgen Hauskeller, Pfarrer in Zella-Mehlis, Uwe Koch, und Thomas Auerbach, Jena,

[6] * 28. Februar 1930 Sonneberg/Thüringen, † 29. Januar 2013 in Braunsdorf/Thüringen

[7] Gerold Hildebrandt, „Pfarrer der Außenseiter“, in TAZ  3.2.2013

[8] W. Musigmann „25 Jahre Friedliche Revolution“ veröffentlicht in: „Vor 25 Jahren: Die friedliche Revolution 1989“,Kalender, Leipzig 2013; sowie „Das Revolutionsjahr 1989" Ein Lesebuch mit Jahreschronik, Leipzig 2014, Herausgegeben von der Stiftung Friedliche Revolution.

[9] „Thesen zu einem Gespräch mit dem Bischofskonvent der Evangelischen Kirchen in der DDR am 6. Mai 1982“, in „Beobachtungen-Erfahrungen-Überlegungen, eine Sammlung aus der Offenen und Sozialdiakonischen Jugendarbeit der Kirche“, hg. von der Kommission Kirchliche Jugendarbeit beim Bund der Ev. Kirchen in der DDR 1985, S. 4

[10] Ilko-Sascha Kowalczuk, in „Gesichter der friedlichen Revolution“ Herausgeber: Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin 2010

[11] Veröffentlicht in: Kirchliches Jahrbuchs für die Evangelische Kirche in Deutschland - Dokumente zum Kirchlichen Zeitgeschehen des Jahrgangs 2013, München 2015

[12] zitiert nach Ehrhart Neubert, Geschichte der Opposition, Schriftenreihe Bd 346 der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 1997, S. 184

[13] Claus-Jürgen Wizisla „Wer stellt eigentlich die Weichen? Mein spannendes Leben als Pfarrer in der DDR“

[14] Frieder Burkhardt war nach seinem Theologiestudium in Leipzig zunächst als Pfarrer in Dresden und Pfaffroda/Erzgebirge tätig. Bereits zu Beginn begann er mit der „Offenen Jugendarbeit“. Von 1983 bis 1991 war er Rektor der Potsdamer Ausbildungsstätte für Gemeindediakonie und Sozialarbeit und 1989 Leiter der Arbeitsgruppe Soziales beim Neuen Forum in Potsdam. 1991 gehörte er dem Gründungssenat die Fachhochschule Potsdam an. 1992 wurde auf die Professur für Sozialethik / Soziale Philosophie, Sozialgeschichte berufen.

[15] BERICHT von Prof. Frieder Burkhardt über „Offene Jugendarbeit im vormundschaftlichen Staat DDR

1970-1983 Dresden / Erzgebirge“ zur Tagung in der Fachhochschule Potsdam am 31. Januar 2008 anlässlich seiner Verabschiedung aus dem aktiven Dienst, download: https://opus4.kobv.de/opus4-fhpotsdam/files/67/burkhard_BERICHT_31.01.08.pdf, https://www.fachportal-paedagogik.de/literatur/vollanzeige.html?FId=1152105#vollanzeige, eingesehen 30.10.2020

[16] ebenda

[17] ebenda

[18] ebenda

[19] ebenda

[20] OV (Operativer Vorgang) „Weinberg“

[21] * 6. April 1951 in Chemnitz; † 1. Juli 1989 in Hohburg

[22] Der § 249 StGB der DDR stellte „Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“ unter Strafe. Er galt in etwas geänderter Fassung bis zum Ende der DDR: „(1) Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt, indem er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, wird mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer der Prostitution nachgeht oder in sonstiger Weise die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch eine asoziale Lebensweise beeinträchtigt.“ Er war nach 1945 in Ostdeutschland ohne Bruch mit der Asozialenpolitik der NS-Diktatur übernommen worden.

[23] In diesem Zustand habe ich ihn im April 1984 besucht. Da seine Frau nach seinem Tod plötzlich spurlos verschwand, gibt es Vermutungen, dass sie selbst als IM beteiligt war, die aber bisher nicht bewiesen sind.

[24] Grundlage zur Gruppenarbeit bei der Seminarwoche für kirchliche Jugendarbeit, Neudietendorf 1972, vgl- 4.2.

[25] „Thesen zu einem Gespräch mit dem Bischofskonvent der Evangelischen Kirchen in der DDR am 6. Mai 1982, S. 4

[26] „Die Andere Geschichte“ Kirche und MfS in Thüringen, Erfurt 1993, 376 Seiten mit umfangreicher Dokumentensammlung, Autoren: Katharina Lenski, Angelika Schön, Thomas K. Grund, Uwe K. Kulisch, Uwe Petzold, Harry K. Zöller, Walter Schilling,

[27] In der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen legt der Überprüfungsausschuss der XII. Synode auf ihrer 4. Tagung am 17.11.1995 in Halle Einen Bericht vor unter dem Titel: „Stasi-Überwachung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen - Zwischenbemerkungen aus der Sicht der Forschung“, veröffentlicht im Amtsblatt 1/96 der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen