Heute richte ich mich im Namen aller in Deutschland lebender Belarusen an Sie, die deutsche Bevölkerung, um nicht über, sondern für Belarus zu sprechen, denn mehr als je zuvor braucht es nun unseren Beistand und unsere Unterstützung. Belarus befindet sich im Krieg.

Nicht weil eine außenstehende Macht das Land angreift, weil es über wertvolle Ressourcen verfügt, oder geografisch strategisch günstig liegt, sondern weil das belarusische Volk es gewagt hat sich zu erheben und etwas so banales zu verlangen, dass es einem im Jahr 2020, in einem Land wie Deutschland, fast schon absurd vorkommt.

Die Freiheit den Kandidaten zu wählen, für den man sich entschieden hat. Seine Meinung frei kund zu tun, gerade auch wenn diese kritisch gegenüber der Regierung ist, ohne dafür bestraft zu werden.

Ökonomischer Aufschwung.

Freie Entfaltungsmöglichkeiten.

Liberale Werte.

Demokratie.

Das belarusische Volk wird angegriffen, weil es nach 26 Jahren unter einer Diktatur verlangt hat, frei wählen und frei leben zu dürfen. Es wird angegriffen, weil es unter einem Despoten nicht mehr existieren möchte, und ja, Alexander Lukaschenko ist ein Despot. Er ist ein Tyrann, ein Diktator und ein Mörder, der das Leben seines Volkes nicht würdigt und nicht achtet.

Genau genommen befindet sich Belarus in einem Zivilkrieg, bei welchem der Staatsapparat unter Alexander Lukaschenko die Zivilbevölkerung systematisch attackiert.

Die spezialen Einsatzkräfte in Belarus, die unter Lukaschenkos Befehl Männer, Frauen und Kinder brutal zurichten sind absolut skrupellos.

Man kann es gar nicht wagen sie mit Tieren zu vergleichen, denn Tiere töten nie aus Bösartigkeit oder Machtgelüsten.

Dasselbe kann man vom OMON, der Spezialeinheit der Polizei in Belarus, nicht behaupten.

Wenn wir, die belarusische Diaspora in München, in unsere Heimat schauen, sind wir entsetzt. Wir sind verletzt, traurig, wütend, und verängstigt.

Wir sehen unsere Freunde, unsere Brüder und Schwestern, sogar mittlerweile unsere rentenreifen Eltern auf den Straßen stehen, teilweise auf den Knien, und wir sehen wie sie durch die Polizei gnadenlos verprügelt werden.

In der Geschichte des zivilen Widerstandes haben viele autokratische Mächte versucht den Spieß umzudrehen und zu sagen: das Volk greift uns zuerst an, wir wehren uns ja nur.

Doch in unserem Zeitalter, im Zeitalter der Digitalisierung und sozialer Medien, wo jeder die Wahrheit sofort ans Licht bringen kann, zieht diese dreiste Lüge nicht mehr. Sehen sie sich die Bilder aus Belarus genau an.

In Belarus gibt es keine Randalierer. Niemand zerstört Privat- oder Staatseigentum. Es gibt keine angezündeten Autos und keine Krawalle. Alles was wir sehen sind friedliche Menschen, die auf den Straßen flehen endlich von den Repressionen erlöst zu werden.

Alles was Lukaschenkos Handlanger sehen, sind Boxsäcke.

Mit Füßen, Schlagstöcken mittlerweile gar Schusswaffen geht der Staat gegen seine eigenen Bürger vor. Menschen sterben, nur weil ein Größenwahnsinniger sich an der Macht wie ein Kind am Schnuller festgekrallt hat.

Doch so wie sich das Kind irgendwann vom Nuckel trennen muss, so wird auch Alexander Lukaschenko einsehen müssen, dass er nicht mehr an Belarus hängen kann, bis es leer gesaugt ist.

Während des Wahlkampfes hat das wunderbare weibliche Oppositionstrio immer wieder deutlich gemacht: wir sind die 97%.

Wir, friedliche, freiheitsliebende, sich nach Änderungen sehnende Belarussen, sind die Mehrheit.

Die Anderen, sind nur 3%.

Doch auch wenn diese Größenordnung inspirierend ist, sage ich immer wieder, es geht nicht um die Quantität, sondern um die Qualität. Solange es auch nur eine Handvoll Menschen gibt, die sich gegen die Diktatur wehren, wird diese immer auf wackligen Beinen stehen. Wenn dann aus dieser Handvoll tatsächlich und wahrhaftig 97% werden, die fest daran glauben, dass Veränderungen möglich sind und es auch an ihnen liegt diese herbeizuführen, wird das Regime endlich stürzen.

Viele Kritiker, auch aus Belarus selbst, sagen zu mir ich sei naiv und wer verspricht denn, dass es ohne Lukaschenko besser wird?

Niemand. Denn das steht niemandem zu und dieses Versprechen ist so trügerisch wie Lukaschenkos 80% Wahlergebnis.

Weder Swetlana Tichanowskaja, noch Wiktor Babariko können zu 100% versprechen, dass Belarus nach der Diktatur plötzlich zum Garten Eden wird, und jeder ein reiches, glückliches, und sorgenfreies Leben führt.

Wir können jedoch mit Sicherheit sagen, dass es schlimmer wirklich nicht mehr geht und deshalb wollen wir Menschen an der Macht sehen, die zumindest alles in ihrer Kraft stehende tun werden, um Belarus voran zu bringen. Dieses Schicksal hätten sich die Belarusen dann zumindest selbst ausgesucht.

Ich wende mich heute an Sie, um nicht über, sondern für Belarus zu reden. Zum einen weil den Menschen dort gerade die Stimme weg genommen wird, und zum anderen, weil es nicht nur unsere, sondern die Hilfe von Ihnen allen braucht.

Die Belarusen, das schließt uns auch mit ein, wissen sehr wohl, dass einzelne Menschen aus fremden Ländern und ohne große politische Macht wenig gegen das Regime unternehmen können, jedoch ist jede noch so kleine Geste, die die internationale Aufmerksamkeit auf die unzumutbaren Zustände im Land lenkt und den Belorussen sagt: „Wir glauben an euch, ihr seid nicht allein“, wirklich die Welt wert.

Deswegen bitte ich Sie: Schauen Sie nicht weg. Verbreiten Sie die Nachrichten.

Unterschreiben Sie die Petitionen. Spenden Sie!

Es gibt viele Wege, um Belarus zu helfen, und das trägt schlussendlich dazu bei, dass Belarus sich selbst helfen kann.

Denn es mag kein großes Land sein, und kein sonderlich bekanntes, aber es ist ein verdammt schönes, stolzes und starkes Land. Und es wird alles überstehen.

(Жыве Беларусь).

Natalia Valeria Müller